Portrait


Martina Schucan – die andere Cellistin

Wenn Martina Schucan Cello spielt, ist zu spüren: Da hat jemand den Kern der Musik ganz in sich, ist ganz in der Musik - und ist ganz bei sich. Die Musikerin strahlt die Ruhe, Konzentration und Fokussiertheit einer Zen-Meisterin aus, und doch lodert in ihr auch ein intensives Feuer. Ein musikalisches Ereignis kann explodieren, die Zuhörenden mitten ins Herz treffen und ihnen in diesem kurzen Moment das emotionell und intellektuell Entscheidende über ein Werk mitteilen. In jeder Einzelheit steckt auch das Ganze.

In sehr jungen Jahren hat Martina Schucan bereits zu einer Karriere angesetzt, hat mit ihrer enormen Musikalität und Begabung überzeugt. Sie hätte ohne Probleme ihre Karriere als Interpretin im internationalen Musikbetrieb weiter verfolgen und das gängige, schmale, klassisch-romantische Repertoire in den internationalen Konzertsälen auf ihre so eigene Weise zeigen können. Doch bereits eine frühe Schallplattenaufnahme weist in eine andere Richtung: Dmitri Schostakowitschs Cellosonate war darauf zu hören, zu einer Zeit veröffentlicht, als der Russe noch längst nicht so populär war, wie das heute der Fall ist. Martina Schucan ist am Neuen, Lebendigen interessiert. Sie spielt Musik aus unserer Gegenwart mit derselben Selbstverständlichkeit, Überlegenheit und geistigen Ausstrahlung wie die Solosuiten von Johann Sebastian Bach. Entsprechend spannt sich ihr Repertoire vom 18. bis ins 21. Jahrhundert, und zahlreiche Komponisten durften mit ihr für Uraufführungen zusammenarbeiten, sei es als Solistin, Kammermusikerin oder Mitglied des Ensemble Collegium Novum Zürich.

Auch wer noch nie ein Werk gehört hat, das nach der letzten Jahrhundertmitte komponiert worden ist, wird sich beispielsweise von der Sonate für Violoncello solo von Bernd Alois Zimmermann berühren lassen, wenn Martina Schucan sie im Konzert spielt. Die exorbitanten technischen Schwierigkeiten des Werkes stehen überhaupt nicht im Vordergrund, die Cellistin meistert sie ohne Probleme. Die Virtuosität hat nicht wie ein Zirkustrick den Zweck, einen mit stupender Technik zu verzaubern. Sie setzt Energien frei, die im Notentext stecken, sie vermittelt die Emotionalität, Vitalität und Poesie dieser Musik. Es ist gleichsam ein Schöpfungsakt zu erleben, der neue Welten aufschliesst und einen staunend, mit weit offenen Ohren einfach hören und erleben lässt. Und plötzlich entstehen Brücken: von der Vergangenheit zur Gegenwart - unserer Gegenwart - und zurück. Das ist es, was Martina Schucan als Exegetin von Musik so besonders macht: Wir hören Bekanntes neu, Neues wirkt vertraut, und hinter allem ist eine Persönlichkeit zu spüren, der es nur um die Musik, um das Kunstwerk geht. Um das, was es ist.


Alfred Zimmerlin, Komponist und Journalist NZZ

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